
Rotkäppchen - für Juristen erzählt
Es war einmal eine Minderjährige. Der Überlieferung nach im
vorpubertären Alter. Die Eltern des Mädchens hatten ihr in Ausübung des ihnen
gesetzlich eingeräumten Namenbestimmungsrechts (§1627 Abs.1, 2 BGB) den
Rufnamen Rotkäppchen gegeben, unbeanstandet vom Standesamt, das gemäß §§
16, 17 des Personenstandsgesetzes nach gebundenem Ermessen hätte widersprechen
können.
Rotkäppchen wurde von der Mutter beauftragt (§ 622 BGB),
Kuchen und Wein zu der im Walde wohnenden kranken Großmutter zu bringen, ohne
dass übermittelt ist, ob es sich dabei um die Großmutter väterlicher- oder
mütterlicherseits handelte. Im Rahmen der Aufsichtspflicht (§ 832 BGB)
erfolgte eine der nach herrschender Meinung ausreichende Belehrung vor den
möglichen Gefahren des Weges. In ständiger Rechtsprechung wird die Auffassung
vertreten, dass selbst bei einem 6jährigen Kind, soweit keine schädlichen
Neigungen festgestellt werden, es ausreicht, vor den allgemein üblichen
Gefahren einer Weggefährdung zu warnen, um alsdann das Kind unbewacht zu
lassen; eine ständige Begleitung durch eine Aufsichtsperson wird nicht
gefordert, ein ständiges Eingesperrt sein des Kindes in diesem Alter ist weder
geboten noch aus erzieherischen Gründen erwünscht (VersR 1972, Seite 54)!
Entgegen dieser für ausreichend anzusehenden Belehrung ließ
sich das Kind von einem der menschlichen Sprache mächtigen Wolf in ein
Gespräch verwickeln und gab bei dieser Gelegenheit Informationen preis, die der
Wolf arglistig zu seinem Vorteil ausnutzte. Die insoweit erfolgte Einlassung des
Kindes hinsichtlich des Gesprächs mit dem Tier ist nicht zu widerlegen, zumal
bekanntermaßen auch Loriot im Fernsehen einen sprechenden Hund vorführen
konnte.
Die weiteren Angaben des Mädchens anlässlich seiner Vernehmung
um die Vorkommnisse im Hause der Großmutter, dass nämlich der Wolf zunächst
die Großmutter und alsdann nach einem etwas verfänglichem Gespräch auch
Rotkäppchen bei lebendigem Leibe verschlungen habe, wurde indirekt durch die
Zeugenaussage des Jägers bestätigt, der durch Aufschneiden des sich im
Tiefschlaf befindlichen Wolfs die beiden Personen unverletzt befreite. Als
Präjudiz kann auf den Propheten Jonas verwiesen werden, von dem in der Bibel
überliefert ist, dass er zunächst von einem Fisch (Jonas 2,1) verschlungen und
nach 3 Tagen - möglicherweise wegen Unbekömmlichkeit - wieder ausgespuckt
wurde (Jonas 2,11).
Das Aufschneiden des Wolfs durch den Jäger ist
tatbestandsmäßig als verbotene Vivisektion zu werten. Die mögliche Einlassung
des Jägers, eine Tötung des Tieres - etwa durch Kopfschuss - sei wegen der
gerade laufenden Schonzeit nicht zumutbar gewesen, wäre eine Schutzbehauptung
und darum unbeachtlich. Wegen des vorhandenen Notstandes entfällt jedoch
zumindest der Schuldvorwurf, was eine Bestrafung ausschließt (§ 35 StGB).
Dagegen ist der Jäger wegen Tierquälerei nach dem
Tierschutzgesetz zu bestrafen, soweit er als Mittäter gemeinschaftlich handelnd
(§ 25 Abs.2 StGB) mit der gleichfalls straffälligen Großmutter und dem noch
nicht strafmündigem Rotkäppchen (§ 19 StGB) den aufgeschnittenen Wolf mit
schweren Feldsteinen füllte und so den qualvollen Tod des Tieres herbeiführte.
Die verwirkte Strafe wäre jedoch mit Rücksicht auf die zuvor erbrachte
Hilfeleistung zur Bewährung auszusetzen.
Dem Vernehmen nach soll Rotkäppchen später mit dem Jäger die
Ehe eingegangen sein, beide sollen die Großmutter zu sich genommen haben.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lügen sie noch heute.
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